Die Zeiten ändern sich
Tempora mutantur…
… wie der Lateiner sagt – „Die Zeiten ändern sich“. Aber dieses Sprichwort, das gar nicht aus dem alten Rom, sondern dem späten Mittelalter stammt, geht ja bekanntlich noch weiter: „nos et mutamur in illis“, was so viel bedeutet wie „und wir ändern uns in ihnen“. So richtig bewusst wird einem das am Steuer eines Sportwagens, der das Oldtimeralter erreicht hat.
Mitte der 1980er Jahre. Die stärkste Großserien-E-Klasse ist der 300E mit 180 PS, der Allradhero Audi Quattro 20V mit 220 PS spielt bei den ganz schnellen mit und selbst ein Porsche 911 Carrera 3.2 hat nicht mehr als 231 PS unter der Haube. Dann kommt 1987 das schnellste Serienauto Japans, die Toyota Supra 3.0i turbo. 235 PS Leistung, fast 400 Nm Drehmoment. Mit all diesen Kisten bist du damals bei den ganz Schnellen mit dabei.
Zeitsprung, 2019. Selbst wenn du ein Exemplar findest, das leistungsmäßig noch sehr gut im Saft steht, brauchst du dir heute nichts mehr auf die Sportlichkeit deines 80er-Jahre-Renners einbilden. Sie klingen immer noch so gut wie damals, sie machen auch immer noch genauso viel Spaß wie vor 30 Jahren und natürlich sehen sie nach wie vor scharf aus. Bis der Golf 7 GTD oder der C220d W205 im Rückspiegel auftaucht. Dann wird es Zeit, sportliche Aktivitäten am Steuer des gealterten Sportlers möglichst schnell einzustellen und mit demonstrativ entspannter Fahrweise zu betonen, dass man es ja eigentlich gar nicht nötig hat, zu zeigen, was unter der Haube ist. Was grundsätzlich sehr vernünftig ist, in diesem Sonderfall aber schlicht notwendig.
Warum? Weil es mit den alten Kisten viel schwieriger ist, wirklich schnell zu sein. Wie erreichst du denn die 6,3 Sekunden vom Stillstand auf 100km/h, die Toyota für die Supra angegeben hat? Was muss man dafür tun, dass der Audi Quattro 20V in 6,5 Sekunden auf Landstraßentempo hüpft? Da muss die Drehzahl beim Einkuppeln genau zur Drehmomentcharakteristik des Motors passen. Da muss jeder Schaltpunkt exakt sitzen. Da muss Auskuppeln, Schalten und wieder Einkuppeln in Bestzeit abgehen – Röhrl-esk, quasi. Und das schaffst du nicht! Also sind es keine 6,3 oder 6,5 auf Hundert, sondern es dauert mindestens eine Sekunde länger, vielleicht auch zwei.
Und dann haben sie dich. Der Außendienstler-Kombi Passat 2.0 TDI mit DSG-Getriebe oder die Abteilungsleiter-Limousine C220d mit 9G-tronic stemmen die Werksangabe von 7,7 bzw. 6,9 Sekunden nämlich jedes Mal in den Asphalt. Dafür musst du als Fahrer nicht einmal was können. Es reicht schon aus, voll aufs Gas zu latschen. Den Rest machen Motor und Getriebe ganz von allein. Und so kommen die biederen Leasing-Mittelklässler mit durchschnittlichen Motorisierungen gleich schnell in Fahrt wie die alten Sportwagen, die heute immer noch schnell aussehen.
Aber sie sind keine Blender. Sie spielen heute einfach nicht mehr bei den Sportwagen, sondern bei den Toyota GT86 oder Mazda MX-5 in der Liga der Spaßmacher mit. Natürlich bist du mit ihnen auf der Straße auch heute immer noch bei den Flotten mit dabei. Aber nicht mehr bei den Schnellen, wie damals. Nur wer sich das vor Augen hält, bewahrt die Würde von Fahrzeug und Insassen.
Seit 2008 als Motor-Journalist, Autor & Texter in der Szene aktiv. Sein Kaufverhalten gilt als promiskuitiv, seine Autos wechseln häufig. Vom Buick über den Mercedes-Benz und einigen Subarus bis hin zum Volvo war schon alles dabei. Nur der grüne Pajero, der bleibt! Auch macht es ihm großen Spaß, von sich in der dritten Person zu schreiben.
Im Gegenzug punkten diese Autos (inkl. GT86 und MX-5) auf dem Feld des Fahrspaßes ganz heftig und da zählen nicht die nackten Zahlen, sondern das Gefühl schnell (vielleicht sogar ur-schnell) zu sein.
Hand aufs Herz – wer fährt mit der Stoppuhr auf einer feinen Berg- oder Landstraße? Kaum jemand bewegt einen Außendienstler-Kombi Passat 2.0 TDI mit DSG-Getriebe so beherzt durch die Kurven. Auf der Autobahn sollen sie ruhig ziehen – da ist es ohnehin öde 😉