Diese gute, alte Zeit…
… der wir so nachheulen. Sie bringt uns dazu, freiwillig jedes Jahr unzählige Euros in alte Autos zu versenken, die wir im Endeffekt gar nicht brauchen. Und die vielleicht auch gar nicht sooo toll sind, wie wir alle uns das gerne einreden. Oder?
Probieren geht über Sinnieren, also rein in den historischen Sympathieträger. Ui, das ist eine dünnwandige Kiste. Und laut ist das Ding. Viel Lärm um nicht viel, weil im heutigen Kontext betrachtet sind die Fahrleistungen ernüchternd. Was aber eh von Vorteil ist. Denn auch die Bremsen überzeugen nicht restlos, um es wohlwollend zu formulieren. Aber man fährt halt gemütlicher. Hinzu kommen – selbst in gehobenen Fahrzeugklassen – kleine Hocker, die sich ohne rot zu werden Sitze nennen. Oberschenkelauflage oder Kopfstützen, die ihren Namen verdienen? Erst ab den späten 1980ern üblich. Dass die Platzverhältnisse damaliger Oberklasseautos denen heutiger Kompaktwagen entsprechen, mag neben dem Größenwachstum der Autos auch an unserer zugenommenen Körperfülle liegen. Hat es der Nachwuchs im Oldie besser?
Für Kinder ist Platz genug auf der Rücksitzbank. Die ganz ohne Kopfstützen auskommt. Auf der es nicht einmal Gurte gibt. Und wenn, dann sind sie für Kindersitze zu kurz, der Umlenkpunkt an der C-Säule zu hoch oder die Gurtpeitschen zu lang. Aber als Kinder sind wir damals ja sowieso immer zwischen den Vordersitzen gestanden und schaut uns an – Wir leben immer noch! Also wo ist das Problem… Im Falle eines Unfalls, der uns großartigen Fahrern natürlich niemals passieren wird, ist das Problem dann plötzlich für alle sichtbar. Wenn du aus dem modernen Auto noch aussteigst, bist du im alten Sympathieträger tot. Aber durch geringe Jahresfahrleistungen minimiert sich dieses Risiko selbst.
Und der Komfort? Früher waren die Autos doch alle so gemütlich. Bis auf die zu kleinen Sitze und die kaum vorhandene Geräuschdämmung jedenfalls. Dass im Frühling der Heuschnupfen mangels eines Pollenfilters fröhliche Urständ feiert, es im Sommer mangels einer Klimaanlage im Auto eine Affenhitze hat und im Herbst die Heizluft nach Staub, Abgas und Motoröl riecht, geht heute als charmante Erinnerung an vergangene Zeiten durch. Schwarzes Kunstleder auf den Sitzen? Besonders klass, wenn es heiß ist und man eine kurze Hose trägt. Aber die Federung! Die war doch so gemütlich, damals. Generationen von Kindern, die sich bei jeder Fahrt auf den Rücksitzen von Heckflosse, Rekord, Taunus, und Co. die Seele aus dem Leib gekotzt haben, werden das anders sehen. Fragt mal eure Eltern.
Das Straßenbild, das war doch viel schöner. Von der leasingsilbernen Seuche war noch nichts zu merken, Farben waren mutiger, der Chrom glänzender und die Betriebsgeräusche charakteristischer. Aber jeder, der heute einem Oldtimer nachfährt oder an der Ampel vor sich stehen hat, kann sich ausmalen, wie es noch vor 30 oder 40 Jahren in unseren Städten gestunken haben muss. Alle Autos ohne KAT und alle LKWs mit gewaltigem Rußausstoß. Wenn ich die Wahl hätte, ob ich im Jahr 1979 oder 2019 in der Elisabethstraße in Graz oder am Gürtel in Wien zu Fuß gehen muss, würde ich nicht lange überlegen. Ich würd mich natürlich für 1979 entscheiden, der Autos wegen. Meine Lunge würde aber ganz bestimmt 2019 bevorzugen!
So toll, wie wir heute tun, waren die Autos damals vielleicht gar nicht. Und die gute, alte Zeit? Lassen wir das. Oldtimer sind Zeitzeugen, die es zu bewahren lohnt. Genauso wie Altbauwohnungen haben sie Charme, Charakter und überzeugen durch ihre Optik. Sie lockern das Straßenbild auf und zaubern ein Lächeln in die grantigen Gesichter vieler Passanten. Das ist ihre heutige Aufgabe. Solange wir uns dessen bewusst sind und nicht versuchen, sie mit konstruierten Argumenten krampfhaft gegen die ach so blöden Neuwagen auszuspielen, ist alles fein.
Lukas
Seit 2008 als Motor-Journalist, Autor & Texter in der Szene aktiv. Sein Kaufverhalten gilt als promiskuitiv, seine Autos wechseln häufig. Vom Buick über den Mercedes-Benz und einigen Subarus bis hin zum Volvo war schon alles dabei. Nur der grüne Pajero, der bleibt! Auch macht es ihm großen Spaß, von sich in der dritten Person zu schreiben.