Kawasaki Estrella Projekt 2022: Ein Viertelliter Jugendliebe

„Es ist 1996
Meine Freundin ist weg und bräunt sich
in der Südsee (allein?)
Ja, mein Budget war klein (na fein)
Herein, willkommen im Verein.“

Ja sorry Fettes Brot, dass ich eure ersten Zeilen von Jein missbräuchlich verwende, aber das bringt uns gleich zum Anfang dieser Geschichte. Also 1996, da war ich zarte 21, arbeitete im Grand Hotel Wiesler in Graz und hatte gerade von einem Uno 50S der ersten Serie auf einen Fiat Uno Turbo i.e. Serie 2 upgegradet. Angefixt durch zwei Kollegen die Motorrad fuhren, wurde auch mein Interesse an zwei motorisierten Rädern geweckt. Mein Vater fuhr seit 1991 sporadisch seine chromblitzende 77er Honda CB500 Four, die mit ihrer 4in4 Auspuffanlage eine mächtige Soundkulisse erzeugte. Somit war klar, wohin optisch die Reise hingehen sollte. Kein Joghurtbecher mit viel Plastik, sondern was mit Stil, viel Charme und etwas, das Emotionen weckt!

 

 

 

Das ist es doch, was du hier lesen willst: Emotionen!
Geschichten die einen mitten in der Brust treffen, dort wo bei den meisten ein großes weiches Herz schlägt! Dort muss einen die Story packen. Ich bin ja durchaus auch für solche Gefühlsduseleien zu haben. Emotionen wird es noch genügend geben, das kann ich dir hier und jetzt versprechen.

Nach langer eingehender Recherche, dem Besuch einiger Motorradhändler in der näheren und weiteren Umgebung blieben nicht viele Modelle übrig, die mich in ihren Bann zogen. Mehr als 500 cm³ und 34PS durfte ich mit dem AL Führerschein nicht legal bewegen, somit blieb die Auswahl an Motorrädern klein. Irgendwie blieb mein Herz an der zarten Kawasaki Estrella hängen, 17 PS aus 250 cm³ und feinster Retro-Look mit Rundscheinwerfer, zweifarbigem Tank und viel Chrom. Kawasaki-Händler waren schon in den 90ern dünn gesät – ich bin aber auf eine kleine Hinterhofwerkstatt in Lieboch gestoßen, die zwar keinen prunkvollen Showroom hatte, dafür aber mit viel Herzblut und Engagement bei der Sache war. Dort stand auch ein aktuelles 96er Modell der Estrella zur Ansicht und zur Probefahrt bereit. Gut, mit 17PS zieht man jetzt nicht die Wurst mit einem Ruck vom Teller, aber man kommt vorwärts, zwar nicht schnell aber doch. Ideal um einen jungen Mann vom Stadtrand mitten in die City zur Arbeit zu bringen, das Ganze aber mit viel Stil.

 

 

Noch mit Schilling bezahlt
Ein kleiner Kratzer am Tank minderte den Preis noch um etwas und so wurden wir uns schnell handelseinig. Um Schilling 56.000.- ging die Estrella am 09.09.1996 in meinen Besitz über. Das einzige Fahrzeug bisher, das ich fabriksneu erworben habe. Angemeldet wurde sie am Tag darauf und auch ausgiebig gefahren. Der Arbeitsweg, sowie kleine Ausfahrten in das Grazer Umland oder über die südsteirische Weinstraße machten auch mit 17PS Laune. Auch berufliche Catering-Locations für die steirische Landesregierung im Schloss Eggenberg oder der Grazer Burg, wurden in der Kochjacke mit dem Kollegen am Sozius mit der Maschine absolviert.

Herbst 96’
Im Herbst 96’ starb der Uno Turbo i.e. einen kurzen schnellen Unfalltod und die Estrella bekam als Hauptfahrzeug einen 89er Volvo 360 GLT zur Seite gestellt. Den Winter über verbrachte ich im schneereichen Tirol und lernte den kantigen Holland-Schweden und den Heckantrieb lieben. In den beiden folgenden Sommern nutzte ich die Estrella beinahe täglich mit vielen Genussmomenten.

Roadsterfieber
Tief in mir schlummerte aber die große Sehnsucht nach einem Mazda MX-5 der ersten Serie (NA). Klappscheinwerfer, Heckantrieb und wenn möglich das Sondermodell von 1991, den V-Special in british-racing-green mit dem braunen Lederinterieur. Der kam im Winter 1999 unverhofft des Weges und wurde Mein. Die ganze Geschichte des Mäxchens habe ich hier ausführlich erzählt.

 

 

 

 

Hat man erst mal einen Roadster und ist schockverliebt ob der vergnüglichen Fahreigenschaften, kommt natürlich das bisherige Spaßmobil zu kurz. Viel zu kurz. Somit war der Abgang der Estrella aus damaliger Sicht, eine durchaus vernünftige Entscheidung. Das Inserat im lokalen Kleinanzeigenmagazin war schnell aufgegeben und das Interesse am kleinen leichten Motorrad ließ mein Nokia 6110 nicht permanent klingeln.

Sie muss weg!
Irgendwann meldete sich dann ein Herr mit oberösterreichischem Akzent, der Interesse bekundete und sich wieder melden wollte, wenn er in Bälde in Graz weilte. Wochen, wenn nicht Monate später, klingelte wirklich das Telefon und wir vereinbarten einen Termin am Parkdeck eines Einkaufszentrums nahe der Grazer Innenstadt. Dort entstieg dann ein gewisser Josef Hader dem PKW, als fachkundige Begleitung hatte er einen seiner Tourbegleiter im Schlepptau. Der machte auch die kurze Probefahrt und fragte die technischen Details ab. Wir waren uns schnell handelseinig und der Kaufvertrag wurde beim ÖAMTC besiegelt und ich bekam den vereinbarten Kaufpreis ohne Gefeilsche. Als kleinen Bonus um den Abschiedsschmerz zu lindern, durfte ich mir aus dem Tourmobil diverse CDs und Videokassetten des Schauspielers und Kabarettisten aussuchen, die natürlich noch signiert wurden. Während der Tournee war die Mitnahme des Motorrades nicht möglich, es würde aber bald abgeholt werden. So kam es, dass der Herr Hader nicht im schlimmsten Gewitter am Tag der Abholung aufbrechen konnte, sondern bescherte meinen Eltern noch einen vergnüglichen Abend im Wohnzimmer. Ich war leider verhindert und musste den beruflichen Pflichten nachkommen.

 

 

Jahrzehnte später
Somit war das Motorradkapitel für mich abgeschlossen, fortan wurde leidenschaftlich geroadstert. Das blieb auch viele Jahre, sogar Jahrzehnte so. Wenn, ja wenn ich nicht vor ca. 3 Jahren bei einem Spaziergang durch Graz, mir eine verlebte Kawasaki Estrella unterkam. So ein typischer Dailydriver, gut gebraucht mit der einen oder anderen Blessur. In dem Moment wurden viele Erinnerungen aus dem tiefsten Unterbewusstsein hochgespült. Kaum zu Hause wurde ein großes Kleinanzeigenportal durchsucht, ob es den noch weitere Überlebende der Estrella gibt. Und siehe da, es wurden einige wenige Exemplare aufgelistet, auf den ersten Blick aber zu teuer für die schnelle Befriedigung einer sentimentalen Phase, die wohl bald wieder verebben würde. So richtete ich einen Suchagenten auf dem Kleinanzeigenportal ein und freute mich über regelmäßige neue Inserate.

 

Schnitt. Spätsommer 2021
Wieder landet ein Mail vom Suchagenten im Postfach: Estrella, Baujahr 1996, Gebrauchsspuren, Motorschaden, um kleines Geld zu haben. Ein paar Bilder zeugen von einem bewegten Leben. Ein paar Tage später ist das Inserat noch immer da und ich schreib dann doch mal dem Verkäufer ein paar Zeilen. Die Antwort kommt prompt und es entwickelt sich ein netter Chat mit dem Anbieter aus Wien.

Auf der Autobahn sei ihm der Motor hochgegangen und die Expertise seiner Werkstatt verheiße nichts Gutes. Das Ventil sei wohl abgerissen und dementsprechend der Motor im Argen. Gut so eine Leiche will ich mir natürlich nicht Heimschleppen. Ich stelle dann scheinbar doch die richtigen Fragen, ob nicht zufällig ich als Erstbesitzer nicht im Typenschein stehe. Das konnte er mir nicht beantworten, da der Originale bei einem der Vorbesitzer verlustig ging und nur ein Duplikat vorhanden sei. Irgendwie komme ich dann auf die glorreiche Idee und frage nach der Motornummer und der Fahrgestellnummer, die ich dem noch vorhandenen Kaufvertrag und der Originalrechnung entnehmen konnte. Manchmal macht es doch Sinn, wenn man gewisse Dinge archiviert und nicht alles in die Tonne wirft.

 

 

Coming home
Ihr ahnt es bereits, klar, das ist genau die Maschine, die ich mir 1996 neu gekauft habe. Meine Estrella. Würde ich sonst so eine von Emotionen triefende Litanei herunterbeten? Wir verlegten uns dann vom chatten aufs Telefonieren und ich bekam noch etliche Bilder über den Zustand des Motorrades. Etwas Bedenkzeit später und etwas feilschen später sagte ich den Kauf telefonisch zu und wir vereinbarten einen Abholtermin. Den ich leider aus privaten und auch beruflichen Gründen noch mehrmals verschieben musste.

Anfang September war es dann so weit und ich holte mir in Wien-Floridsdorf meine Estrella, auf den Tag genau ein Vierteljahrhundert später nach dem Kauf am 09.09.1996. Mitten im schönsten Feierabendverkehr quälte ich mich nach Wien rein und wieder raus und verlor dabei kostbare Lebenszeit. Wien kann so schön sein, wenn man nicht mit dem Auto fährt. Deswegen ist es mir am Liebsten, wenn ich das Wiener Ortsschild im Rückspiegel immer kleiner werden sehe. Doch über den Stop and go Verkehr, Stau und Stresspusteln konnte ich nur milde lächeln, denn ich wusste: Ich hatte sie wieder. Meine Estrella. Nach 22 Jahren.

 

 

Aktuell steht die Estrella bei Volvi in der Werkstatt und wir werden bald mal den Motor ausbauen und eine Bestandsaufnahme machen. Habe ich jetzt dein Interesse geweckt? Dann schau bald wieder hier vorbei, wie es mit dem #estrellaproject2022 weitergeht.

Aber das ist eine andere Geschichte.

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3 Responses

  1. Toni sagt:

    Grandiose Story Micky!! Ich hoffe ihr bekommt sie wieder hin, der Sound und der Geruch wird dich zeitmaschinenmäßig zurückkatapultieren 🙂

  2. Micky sagt:

    Ja Toni, die Story ist genial. Hoffen wir das Beste, das die Estrella bald wieder laufen wird.

  3. Max Rinck sagt:

    Schöne Story!
    Ich drück die Daumen, dass die Kleine bald wieder läuft.
    Bei einem einzylindrigen Motörchen ist es fatal, wenn ein Ventil abreißt.
    Bei meinem 56er Käfer konnte ich zum Glück noch 90 Kilometer
    mit einer ziemlichen Geräuschkulisse weiterfahren,
    nachdem ein Ventil (3. Zylinder) sich verabschiedet hatte.
    War wohl ein Glücksfall.

    Grüße nach Austria
    Max

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