Lost Place: Das Haus des Ingenieurs

Ich weiß ja nicht, wie es euch damit so geht, aber ich lese gerne Geschichten über Menschen. Man taucht ein in den Kopf eines anderen Menschen, seine Welt, seine Träume, Ängste, Visionen, Vergangenheit und Zukunft.

 

 

Hier versuche ich, anhand so einiger gefundener Unterlagen in diesem Lost Place, etwas Leben in diesem vor langer Zeit verlassenen Haus des Ingenieurs zurückzubringen. Versuchen zu verstehen, welche Menschen hier gelebt und geliebt haben und warum dieser Ort so zurückgeblieben ist, wie er ist.

 

 

Wie immer beim Betreten solcher Lost Places, darf man gucken, Dinge anfassen, aber nichts mitnehmen, außer Bildern. Das ist der Codex der Urban Explorer („Don’t take anything but pictures. Leave nothing but footprints. Kill nothing but time.“)

 

 

Mir geht es bei diesen Abenteuern in erster Linie darum, das Gesehene mittels Bildern festzuhalten. Ein wenig Nervenkitzel ist immer dabei, denn es wäre nicht das erste Objekt, wo man nicht weiß, was einen erwartet. So manches Gebäude oder Hausabschnitt hat sich als akut einsturzgefährdet herausgestellt.

 

 

Nicht unweit von Graz, an einer kleinen Gemeindestraße, die durch einen Wald führt, steht direkt an der Straße das Haus des Ingenieurs. Ein weit offenes Gartentor lädt hier dazu ein, sich ein wenig auf dem verwilderten Areal umzusehen. In der Einfahrt steht ein weißer Skoda Favorit LX. Dem wurde von Vandalen jeglicher Würde beraubt. Eingeschlagene Scheiben, zerstörte Scheinwerfer und Rückleuchten, der Innenraum wurde diverser Teile beraubt. Einzig ein Duftbaum, Geschmacksrichtung Wilde Rose, hält stoisch seine Stellung.

 

 

 

Öffnet man den halb geöffneten hölzernen Garagentorflügel, springt einen fast ein Lada Niva 1600 an. Der blassgrüne russische Geländewagen hat auch bereits bessere Zeiten gesehen. Unter einer dicken Staubschicht dämmert er vor sich hin. Auf den Fensterscheiben haben sich bereits frühere Schatzsucher verewigt, die Botschaften gehen von nett  „Ich hab euch lieb“ bis zu spooky „Ich töte euch alle“. Der Innenraum ist über und über mit Schimmel überzogen, scheint aber relativ unversehrt zu sein.

 

 

 

Nicht unweit davon lehnt ein Fahrrad, dick überzogen mit Spinnweben. Wandert man in das Erstgeschoss, findet man jede Menge Unordnung. Aufgerissene Schubladen, offenstehende Kastentüren, lose herumliegenden Hausrat. Dazu jede Menge Bücher, Zeitungsschnipsel, Spirituosenflaschen, uralte Bierkisten, Kochtöpfe, Spraydosen, eine mechanische Nähmaschine, ein Rasierapparat aus weststeirischer Produktion, , Werkzeugkisten, eine Rodel, Benzinkanister, Reifen, ausgelatschte Schuhe, Reiseführer, und Konservendosen vom Konsum. Dazu jede Menge persönliche Dokumente des ehemaligen Bewohners, aus denen man, zumindest teilweise, das Leben nachvollziehen kann.

 

 

Wer war also dieser Ingenieur, der hier gelebt hat? Geboren wurde er 1915, mitten in den Wirren des Ersten Weltkrieges in Hofkirchen bei Hartberg 1915. Weiters ist eine Hochzeit im Alter von 40 Jahren im Jahre 1955 am Semmering dokumentiert, ebenso wie die Geburt eines Sohnes 1962. 1980 erfolgte der Umzug nach Graz, im Jahr darauf wurde ihm die Alterspension gewährt. Aus dem Jahr 1980 entnimmt man einer Versicherungspolizze, dass ein Wechselkennzeichen mit drei Fahrzeugen bestand. Ein Ford 100, möglicherweise ein Anglia (Modellcode 100E), teilte sich das dreistellige Grazer Kennzeichen mit einem 65er VW Typ 11 (Käfer) und einem 68er Typ 36 1600L (Typ 3). Aus dem Jahr 1997 ist der Tod des Ingenieurs mit 82 Jahren bekannt.

 

 

Es finden sich aber auch allerhand Unterlagen in diesem Haus, die auch auf eine spätere Nutzung bis mindestens 2002 schließen lassen. Alles in allem ein sehr interessanter vergessener Ort, der einen mit vielen Eindrücken und offenen Fragen von Dannen ziehen lässt.

Hast du jetzt Lust auf mehr Lost Places? Dann stöbere durch die gleichnamige Rubrik hier im Blog.

 

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