Philosophieren beim Wurmerl

Das jährliche Treffen des „Oldtimerclub zum Wurmerl“ ist schon seit fast 15 Jahren eine Institution im steirischen Mürztal. Mehrere hundert Fahrzeuge, vom Moped bis zum LKW, verstopfen auf der Roadbook-Tour vom Treffpunkt in St. Lorenzen zur Festwiese im Kapfenberger Stadtteil Parschlug die Straßen. Und wer sich beim anschließenden Zeltfest nicht sofort dem Alkohol hingibt, beginnt fast automatisch zu philosophieren. 

 

 

Etwa darüber, wie die ländliche Szene tickt. Man ist scheinbar besonders stolz auf die eigene Herkunft. Die Dichte an Hemden und T-Shirts mit „A echter Steira“ oder „I pastedGraphic.pngSteiermark“ – Schriftzügen ist beachtlich hoch, die Menge an Puch-Mopeds und Autos auch. Scheinbar jeder, der etwas auf sich hält, trägt Lederhose oder Dirndl. Besonders dann, wenn man Traktor- oder Mopedfahrer ist. Und die Autofraktion? Auch da zeigt sich eine tiefe Verwurzelung in der Geschichte des Landes. Die Steiermark war schon immer VW-Kernland. Der Käfer motorisierte die bäuerliche Bevölkerung ab den 1960ern, durch gute Traktion dank Heckmotor und Hinterradantrieb war er wie gemacht für die hügeligen und teils sehr steilen Straßen der Steiermark. Und weil der Landmann Wert auf Tradition legt, ist er seinem „Vuikswogn“ bis heute treu. Das spiegelt sich nicht nur beim Neuwagen-Marktanteil des VW-Konzerns, sondern auch beim Wurmerl wieder. VWs in großer Zahl. Luft- und wassergekühlt, original und getunt. Weil „da Vuikswogn hoit oafoch zua Steiamoark und za ins gheat“, wie mir ein Treffenbesucher erklärt hat. Zwar schon leicht illuminiert um 13 Uhr mittags, aber er wird schon recht gehabt haben. Suche nach Halt in turbulenten Zeiten?

 

 

Oder darüber, welche Autos nun wirklich sehenswert sind und welche nicht. Wer am Land auf ein markenoffenes Oldtimertreffen geht, möchte scheinbar „richtige Oldtimer“ sehen. Dazu gehört ein Karmann-Ghia genauso wie ein Heckflossen-Benz. Ein Pucherl und ein Käfer sowieso, ein Opel Rekord C natürlich auch. Und Traktoren „zan saufuadan“. Primär Mainstream-Ware aus den 1950er, -60er und -70er-Jahren. Die Eighties werden nur dann akzeptiert, wenn es ein sogenannter „Klassiker“ ist. Sprich einem Golf II GTI werden alle Ehren zuteil, ein gleich alter Mitsubishi Galant wird im besten Fall einfach ignoriert. Unter Umständen auch verjagt, je nach Promille-Level der Besucher. Was aber ist sehenswerter? Der Klassiker, dem auf jedem Treffen in mehrfacher Ausführung gehuldigt wird oder der Underdog, den man überhaupt nicht mehr sieht? Egal ob es ein Golf II GTI, ein 66er Mustang Cabrio oder ein W123er Benz ist – wenn ich einen haben will, kann ich mir ohne Probleme einen kaufen, kann sogar die Farbe aussuchen. Wo aber kann ich mir einen 83er Subaru 1800 Kombi oder einen 85er Mitsubishi Galant holen? Genau – nirgendwo. Gibt´s nicht, bekommt man nicht mehr. Was ist demnach sehenswerter? 

 

 

Und natürlich darüber, wie wohl die Zukunft solcher Veranstaltungen aussehen wird. Denn im nicht-oldtimerverrückten Teil der Bevölkerung mehren sich die kritischen Stimmen. Solche Veranstaltungen würden nur sinnlos Abgase produzieren. Dass die meisten Fahrzeuge, die beim Wurmerl mitfahren und dann auf der Festwiese parken, keine 1000 Kilometer im Jahr zurücklegen, ist da egal, denn für Argumente ist in einer – in jeder Hinsicht – erhitzten Gesellschaft kein Platz. Dass zwischen 10 und 11 Uhr so manche Kreuzung bzw. ganze Straße in Kapfenberg von der Exekutive gesperrt wird, um den Oldtimer-Tross ungehindert passieren zu lassen, sorgt auch für Ärger bei einigen Verkehrsteilnehmern. „Warum muss ich warten, nur weil da ein paar Spinner mit ihren alten Kisten ungehindert herumfahren wollen?“ Ich bin sehr gespannt, was der ÖMVV und andere Würdenträger der Oldtimerszene vorhaben, um die Akzeptanz für solche Veranstaltungen auch bei nicht-autoaffinen Leuten zumindest halbwegs zu erhalten. 

Blöd, wenn der allerorts hoch gelobte Mechaniker offenbar Probleme mit seiner Terminkoordination hat und man ohne eigene alte Kiste auf so ein Treffen muss. Denn dann hat man eindeutig zu viel Zeit, um zu philosophieren. 

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