Sammlung Wiesenthal wird vom Dorotheum versteigert
Wenn einer der bekanntesten Mercedeshändler Österreichs seine Schatullen öffnet und das Familiensilber zur Versteigerung feilbietet, sollte man einen Blick darauf werfen. Auch wenn die Geldbörse nicht so prall gefüllt ist, kann man immerhin schwärmen von den Exponaten die am 1.Dezember 2018 aus der Sammlung Wiesenthal vom Dorotheum in Wien versteigert werden. Anfang Dezember ist auch noch der ideale Zeitpunkt um ein glänzendes Weihnachtsgeschenk für seine Liebsten mit Stern zu besorgen.
Wiesenthal ist ein Betrieb mit Tradition und bewegter Vergangenheit, der auf eine nahezu 100 jährige Firmengeschichte zurückblicken kann. Die enge Verbindung mit Mercedes-Benz geht bis ins Jahr 1924 zurück, als Günther Wiesenthal Teilhaber der Mercedes-Benz Vertretungen in Prag und Wien wurde. 1932 wird er von der Daimler Benz AG zum Geschäftsführer der österreichischen Vertriebsgesellschaft ernannt. 1935 wird er Exportleiter der Marke und hat diese Position bis zum Ende des zweiten Weltkrieges 1945 inne. 1955 gründet Wiesenthal das Mercedes-Benz Zentralbüro und fungiert somit als Generalimporteur der Marke. 1958 erfolgt seine Ernennung zum Präsidenten von Mercedes-Benz of North America, mit der Leitung des Generalimporteurs betraut er Georg Pappas. 1960 begründet Günther Wiesenthal das heutige Stammhaus in der Wiener Troststraße als Vertriebsgesellschaft für den ostösterreichischen Markt. Im selben Jahr verstirbt der umtriebige Wiesenthal an Leukämie. Seine Witwe Hilde übernimmt mit der Hilfe externer Manager den Betrieb und führt ihn im Sinne des Gründers weiter. 50% seiner Anteile am Zentralbüro in Salzburg vererbt Wiesenthal an Georg Pappas, der dorthin die Geschäftsführung übernimmt.
1972 übernimmt Dkfm. Susanne Sulke-Wiesenthal, die Tochter des Gründers, gemeinsam mit Patrick Graf Douglas die Leitung des Unternehmens. Die beiden legen den Grundstein der Sammlung Wiesenthal mit dem Ankauf der ersten Fahrzeuge. 1976 trennt man sich vom Hälfteanteil vom Salzburger Mercedes-Benz Zentral und tritt es an die Daimler-Benz AG ab. Damit sind Kapazitäten frei für das Engagement am amerikanischen Markt, Grundstein dafür ist die Übernahme eines Mercedes-Benz Betriebes in Betheseda in Washington DC. Aus diesem einen Betrieb entwickelt sich die Euro Motorcars, die amerikanische Sparte von Wiesenthal die 2015 veräußert wird. Mit dieser Leidenschaft und dem geschaffenen Weltkonzern im Rücken kommen zu den Fahrzeugen aus dem Familienbestand zusehends Neuanschaffungen.
Mit dem Fall des eisernen Vorhanges erfolgt die Rückkehr 1990 nach über 60 Jahren in die Slowakei, mit der Übernahme der Mercedes-Benz Vertretung in Bratislava. Die Expansion geht weiter mit Übernahmen und Beteiligungen in Tschechien, Ungarn, USA, Deutschland und auch am Heimatmarkt. Die Marke Smart findet Platz unter dem Dach von Wiesenthal, dafür wird das Smart Center Wien errichtet. Weitere Marken die sich im Laufe der Zeit im Produktportfolio wiederfinden: AMG, Citroen, BMW und Mini. 2015 trennt man sich vom USA-Geschäft, Anfang 2018 von den 11 an Wiesenthal angeschlossenen Vertriebsagenturpartnern mit eigenen Servicewerkstätten, die ab dem Zeitpunkt von Mercedes-Benz Österreich betreut werden. Mitte 2018 fokussierte man die Geschäftstätigkeiten auf Wien und Umgebung und gab die Standorte in Zwettl, Krems, St.Pölten, Unterradlberg, Strebersdorf, Oberpullendorf, Oberwart und Eisenstadt an die deutsche AVAG-Gruppe ab.
Genug Historie, jetzt werfen wir endlich einen Blick auf die 13 Exponate die zur Versteigerung durch das Dorotheum gelangen, die grösstenteils hochpreisige Modelle aus dem Portfolio des Stuttgarter Herstellers beinhaltet. Diese Fahrzeuge waren stets die Speerspitze der Stuttgarter Marke. Einige der Fahrzeuge sind seit der Erstauslieferung im Familienbesitz und sind mit so klingenden alten Wiener Kennzeichen (Schwarzblech) geschmückt: W-105, W-119, W-2.008, W-7.990 usw. Fünf besondere Exemplare davon picken wir stellvertretend heraus, alle anderen können auf der Webseite des Dorotheums ausgiebig betrachtet werden.
1952 Mercedes 300 S Roadster
“Seit 1979 in der Sammlung Wiesenthal
Der 5. gebaute Roadster
Matching Numbers
Schätzwert EUR 550.000 ,- bis 750.000 ,-
Die großen, reichen und schönen dieser Welt wie Cary Grant, Bing Crosby, Gary Cooper und Clark Gable nannten einen Mercedes-Benz 300 S ihr Eigen, jenen Wagen, mit dem man sich in Stuttgart anschickte, den Glanz vergangener Tage zu beschwören und der Welt zu zeigen, dass man immer noch die besten Autos bauen konnte. 1978 fand der glamouröse Roadster über die US-Niederlassung nach Wien in die Sammlung Wiesenthal und teilt sich als Kernstück seit dem Jahr darauf mit dem 300 SL ein Kennzeichen, W-7.990, und Fahrtenbuch. Dieses reicht zurück bis ins Jahr 1982, fast genauso weit das obligatorische Notizbuch. Beide zeugen von Fahrten, Ausstellungen und Wartung, Einträge zu letzterem sind mit Abstand in Überzahl. In den Jahren 1992 und 1993 wurde die Karosserie einer Komplettrestauration bei der Firmentochter Karwinsky unterzogen. Rechnungen und zahlreiche Fotos dokumentieren den Umfang, vor allem aber die Qualität der Arbeit. Ein neues Interieur und Verdeck und eine Überholung des Motors sorgten zur Jahrtausendwende auch inner- und unterhalb des herrlichen Blechs wieder für die Klasse, die ein solcher Wagen verdient. Auch seither mehr gehegt und gepflegt denn gefahren, betört der 300 S noch heute mit atemberaubender Schönheit.“
1955 Mercedes 300 SL Gullwing
“Seit 1979 in der Sammlung Wiesenthal
Das absolute Highlight der Sammlung
Matching Numbers
Schätzwert EUR 900.000 ,- bis 1.200.000 ,-
Der 300 SL der Sammlung Wiesenthal ist der 200. gebaute im Jahr 1955, dem mit 855 Stück stärksten Jahr der Produktion. Das lag mit daran, dass in diesem Jahr die Lieferung in die USA erst richtig begann, wohin dank „Maxie“ Hoffman fast 80% verkauft wurden. So wurde auch dieser hier in einer leichten Seekiste nach New York geschickt, gemeinsam mit einem Kilo Lack in DB 180 silbergrau. Denn wie fast 40% trug auch dieses Exemplar die klassischste aller Farben. Auch das Interieur war Standard, sofern man bei einem solchen Wagen davon sprechen kann, L1, blau karierter Stoff, und L, graue Türtapezierung. Extras umfassten Instrumente in englischer Sprache, sealed-beam Scheinwerfer, Stoßstangenhörner und eine SWF-Scheibenwaschanlage.
So kam der 300 SL bei Ambie Collins, seiner ersten Besitzerin, in Port Chester im Bundesstaat New York an. Ihr folgten nur zwei weitere, ehe der Flügeltürer schon im Februar 1979 nach Wien in die Sammlung Wiesenthal kam. Über das Händlernetz in den USA fand auch er zurück über den Atlantik. Dort ist er seither neben seinem offenen Pendant und dem 300 S das Prunkstück der Sammlung. Bis zum heutigen Tag trägt er jenes Kennzeichen, auf das er am 28. Februar 1979 zugelassen wurde: W-7.990. Damit ist er vielleicht der letzte Flügeltürer im Land mit einer schwarzen Nummer.
Auf dem alten Foto in der Einzelgenehmigung zeigt sich der SL damals noch gut in Schuss. Schon davor war noch in den USA das Interieur in schwarzem Leder erneuert worden, der karierte Stoff galt nicht unbedingt als für die Ewigkeit gemacht. 1992 und 1993 folgte schließlich eine Vollrestauration der Karosserie in der hauseigenen Werkstätte. Die Arbeiten sind mit Rechnungen und zahlreichen Polaroids bis ins Detail dokumentiert, deren Qualität spricht auch 25 Jahre später noch für sich. Zur Jahrtausendwende wurde schließlich auch der Motor komplett überholt. In den Folgejahren war der SL eifrig im Rallye-Einsatz: Alpenfahrt, Ennstal Classic und nicht zuletzt die Mille Miglia hat er erfolgreich bestritten. Auch die SL-Clubtreffen in Laxenburg waren stets ein fixer Termin. Mit 20.000 Meilen in fast 20 Jahren war seine Haltung durchaus artgerecht.
40 Jahre in einem Haus macht diesem so schnell keiner nach. Innen wunderbar patiniert, außen hervorragend restauriert, fasziniert er mit seiner gesamten Erscheinung, Der 300 SL war immer mehr als nur ein Automobil, er ist ein Rennwagen im Straßenanzug, mehr Kunstwerk als Auto, jeder davon einzigartig und dieser hier umso mehr!“
1964 Mercedes 600 Pullman
“Die ehemalige österreichische Staatslimousine
Seit 1976 in der Sammlung Wiesenthal
Sensationeller unrestaurierter Zustand
Orignale 73.000 km Laufleistung
Matching Numbers
Schätzwert EUR 180.000 ,- bis 260.000 ,-
„Haben Sie noch was Größeres?“ soll Konrad Adenauer gefragt haben, als man ihm den neuen 300 SE als Dienstgefährt präsentierte. Hatte man tatsächlich, doch noch nicht ganz fertig. Schon als Adenauer noch den Vorgänger des 300 SE fuhr, pardon, sich darin fahren ließ, für dessen Rufname er Pate stand, hatte man in Stuttgart Entwicklungschef Fritz Nallinger einen Freibrief ausgestellt. Einen Freibrief alles zu ermöglichen, was nur irgendwie technisch machbar war. Ein neuer „Großer Mercedes“ sollte her, der, ganz bescheiden, nicht weniger sein sollte als das beste Auto der Welt!
Nallinger schöpfte aus dem Vollen: Luftfederung, eine Komforthydraulik, die Sitze, Fenster, Schiebedach, so ziemlich alles lautlos und wie von Geisterhand bedient, Servolenkung, Automatik, Klimaanlage, elektrisch regulierbare Heizung und Lüftung und vieles mehr an science fiction. Man dachte kurz gar an einen Zwölfzylinder, sah darin letztlich aber kaum Vorteile gegenüber einem V8. Dass dessen Hubraum von ursprünglich veranschlagten 5,4 auf 6,3 Liter vergrößert wurde, darf gern als Spitze gegen die britische Auto-Aristokratie von Rolls-Royce verstanden werden.
Mercedes zahlte mit jedem einzelnen 600 drauf, die Produktion war aufwendig und teuer, entstand er doch zum großen Teil in Handarbeit. Dank so manchem extravaganten Kundenwunsch glich kein 600 einem anderen, was es keinesfalls billiger machte. Trotzdem verbesserte und modernisierte man über die Jahre dort, wo es notwendig war. Für Mercedes-Benz war der 600 eine Frage des Prestiges. Die Konkurrenz war degradiert, der Inbegriff von Luxus und Fortschritt trug von nun an einen Stern. Ein solches Image ließ sich mit keiner Werbung der Welt kaufen.
Bis heute gilt der Mercedes-Benz 600 als ein Meilenstein der Automobilgeschichte. Er ist die Referenz für alle Staatslimousinen, die nach ihm kamen. Versucht hat es mancher, erreicht hat ihn bis heute keiner!
Jedes Automobil erzählt eine Geschichte, seine und die seiner Besitzer. Dieser 600 Pullman ist Geschichte, ein Stück österreichische Zeitgeschichte. Er ist die ehemalige österreichische Staatslimousine. Noch unter Bundespräsident Schärf bestellt, verließ der neunte jemals gebaute viertürige Pullman am 4. Dezember 1964 das Werk in Richtung Wiener Vertretung, der Firma Wiesenthal & Co. KG. Am 9. Dezember wurde er angemeldet auf die österreichische Präsidentschaftskanzlei, das Kennzeichen standesgemäß für den ersten Wagen der Republik W-1.000. Allerdings nur hinten, denn vorne trägt er das Wappen der Republik, den Bundesadler.
Der Wagen war selbstredend schwarz, der Chauffeur saß auf schwarzem Leder, die Gäste im Fond vornehm auf grauem Stoff. Ein Kühlschrank sorgte für deren Wohlbefinden, eine Trennscheibe für Diskretion. Eine Herausforderung war das Schiebedach, welches vom Fond nach vorne öffnet. Derart früh in der Produktion musste das Werkzeug dafür erst angefertigt werden, wie dem Auftragsblatt zu entnehmen ist.
Adolf Schärf verstarb am Faschingsdienstag 1965, noch zwei Wochen davor holte er den Schah von Persien und bekennenden Automobilisten, Reza Pahlavi, vom Flughafen ab, wohl schon mit der neuen Staatskarosse. Am 9. Juni 1965 trat der Wiener Bürgermeister Franz Jonas Schärfs Nachfolge an, eine Woche davor der 600 in der Troststraße zu seinem ersten Service.
Fast zwei Amtszeiten begleitete der 600er Franz Jonas, chauffierte Staatsoberhäupter und gekrönte Häupter, vom sowjetischen Präsidenten bis zum englischen Königspaar. Das ließ sich zwar in einem geliehenen Landaulet durchs Land chauffieren, vom Flughaben abgeholt hat die Queen jedoch dieser 600. Auch der jährliche Ausflug zu den Festspielen nach Salzburg stand auf seinem Dienstplan. Das Ende seiner zweiten Amtszeit erlebte auch Franz Jonas nicht. Er starb im April 1974 und so erlebte der 600 Pullman noch vor seiner Ausmusterung seinen dritten Präsidenten, Rudolf Kirchschläger.
1976 kehrte er ins Hause Wiesenthal zurück und wurde Teil der wachsenden Sammlung. Statt Präsidenten und Monarchen chauffierte er nun vornehmlich Hochzeitspaare. Auch bei ihm wurde Buch geführt über Ausfahrten und Befinden. Letzteres beeindruckt noch heute, denn der 600 ist unrestauriert und original erhalten geblieben. Selbst alle Betriebsanleitungen und das volle Serviceheft haben bis heute überlebt.
Die Sitze im Fond tragen noch die Bezüge aus seiner Amtszeit und könnten sie sprechen, sie hätten wohl viele Geschichten zu erzählen.“
1970 Mercedes 280SE 3.5
Seit 1979 in der Sammlung Wiesenthal
Eines von 1.232 3.5-Liter Cabriolets
Matching Numbers
Schätzwert EUR 240.000 ,- bis 320.000 ,-
“Zwei Jahre nach der Limousine präsentierte Mercedes-Benz anlässlich der Eröffnung des Museums in Untertürkheim im Februar 1961 zwei Jahre nach der Limousine die Cabriolet- und Coupé-Modelle der neuen Heckflossenreihe. Die Flossen wurde dabei auf einen Hauch von Flösschen gestutzt und anders als bisher übernahm man den Radstand der Limousinen. Das ergab erstmals vollwertige Viersitzer für Ausgewachsene. Dennoch war deren Fertigung so aufwendig, dass viermal so viele Teile von Hand gefertigt wurden. Luxus kostet eben sein Geld, die eleganten Cabriolets und Coupés etwa das Doppelte der Limousinen.
Den Anfang machte der 220 SEb, dazu gab es den 300 SE als Flagschiff, fast 10.000 Mark teurer, beladen mit allem Luxus, dem großen Motor aus dem Vorgänger und dem kapriziösen Luftfahrwerk. Dessen 160, später 170 PS näherten sich der 250 und letztlich der 280 SE langsam an. Zwei Jahre nach Auslaufen des Topmodells, präsentierte Mercedes 1969 das finale Non-Plus-Ultra, den 280 SE 3.5.
m Dezember 1970 verließ dieses Cabriolet das Werk in Richtung Übersee. Als 280 SE 3.5 gab es weder exklusiveres noch sportlicheres und auch bei den Extras hatte hier jemand nicht gespart: Einzelsitze und klappbare Armlehne, Automatik mit Wahlhebel in der Mitte, Becker Radio mitsamt automatischer Antenne, wärmedämmendes Glas, seitlich elektrisch versenkbar und vor allem eine Klimaanlage werteten den moosgrünen Luxus-Sportwagen mit dunkelgrünem Verdeck und dem pergament-farbenen Lederinterieur nochmals gehörig auf.
Schon knapp acht Jahre später, im Juni 1978, fand sich das Cabriolet in Wien wieder. Über die Euro Motorcars kam es in die Sammlung des Stammhauses und zählte fortan zu Graf Douglas’ Favoriten. Entsprechend ist jenes Kennzeichen, das es heute noch trägt, W-119. Ob als rasante Hochzeitskutsche oder als komfortabler Rallye-Wagen, etwa mehrfacher Teilnehmer der Alpenfahrt, zwei Fahrtenbücher zeugen von seiner Sonderstellung unter den Besonderen. 12.000 Meilen allein in den letzten 20 Jahren, davon sind andere weit entfernt. Und weil bei aller Sportlichkeit auch Praktikabiltät nicht zu kurz kommen durfte, wurde es zwischenzeitlich mit einer Anhängekupplung geschmückt.
Die Cabriolets mit dem 3.5 am Heck waren in jeder Hinsicht außergewöhnlich, die perfekte Paarung aus Eleganz und Sportlichkeit. Dieses Exemplar, seit 40 Jahren im Hause Wiesenthal, steht dem um nichts nach. Im Gegenteil, seine Geschichte und seine herrlich authentische Erscheinung machen es vielleicht sogar einzigartig!“
1979 Mercedes 450SEL 6.9
“Seit Anbeginn in Firmenbesitz
Originale 75.100 km Laufleistung
Matching Numbers
Schätzwert EUR 25.000 ,- bis 35.000 ,-
Die neue S-Klasse sollte zu Beginn der 1970er Jahre der letzte große Wurf von Friedrich Geiger werden. Ganz oben im Lastenheft standen passive Sicherheit und größtmöglicher Komfort. Hinsichtlich ersterem hatte man mit Béla Barényi den Großmeister im Hause. Keiner beherrschte die Kunst der Knautschzone und Kaltverformung wie der gebürtige Österreicher ungarischen Ursprungs.
Stilistisch gaben die 1971 präsentierten SL und SLC die Richtung vor, auch unter der Haube schöpfte man aus bekannter Motorenpalette. Das Ergebnis war revolutionär, so sehr, dass erstmals ein Oberklasse-Wagen zum „Auto des Jahres“ geadelt wurde, bis heute zum einzigen Mal.
Im Mai 1975 präsentierte man schließlich die ultimative S-Klasse, oder wie „auto, motor und sport“ es sagte: das beste Auto der Welt. Man hatte die Urgewalt von einem Motor, den M100 aus dem 600 und 6.3, einer radikalen Kur unterzogen und in die neue S-Klasse gepflanzt. Eine Bosch K-Jetronic, Trockensumpfschmierung und ein auf 6.834 ccm vergrößerter Hubraum sorgten für Unbehagen und Schweißausbrüche sogar bei den sportlichsten aller Konkurrenten. 286 PS und ein Drehmoment von maximal 550 und nie weniger als 490 Nm bedeuteten weit über 200 Spitze. Und das ganz unscheinbar, denn nur am Schriftzug 6.9 und den breiteren Reifen erkannten die Kenner den Autobahnkönig.
Anstelle der kapriziösen Luftfederung sorgte eine Hydropneumatik mit automatischer Niveauregaulierung für die entsprechende Straßenlage. Citroen lässt grüßen. An Extras gab es nichts, was es nicht gab, womit man den Preis in schwindelerregende Höhen treiben konnte. Die 100.000 ließen sich locker knacken, kostete denn die Basis mit knapp DM 70.000 schon das Doppelte des nächstbesten Modells. 7.380 Kunden leisteten sich den Über-Benz in den gut fünf Jahren, bis die nächste S-Klasse ihn verabschiedete.
Der 6.9 war eine Demonstration. Man zeigte der Welt, was technisch möglich war, wenn man nur wollte und vor allem auch konnte. Er war konkurrenzlos, schon damals eine Legende, ist er es heute noch, eben doch einfach das beste Auto der Welt.
Der 450 SEL 6.9 der Sammlung Wiesenthal war ursprünglich der Direktionswagen des Hauses. Entsprechend war er auch ausgestattet, elektrisches Schiebedach, Webasto-Standheizung, Becker Radio mitsamt automatischer Antenne oder etwa Leichtmetallräder durften es schon sein. Klimaanlage und zahlreiche elektrische Helferlein für Sitze und Fenster verstanden sich im 6.9 ja schon von selbst. Die dunkelblaue Uni-Lackierung gepaart mit dem standardmäßigem Velours in pergament sorgten für Understatement und Eleganz im Auftritt.
Am 15. März 1979 wurde der 6.9 auf die Firma Wiesenthal zugelassen, die Nummer so exklusiv wie der Wagen selbst, W-119. Die reichte er zwar Mitte der 1980er weiter, seine Stellung als erster Wagen im Hause blieb, bis ihm schließlich Ende 1989 der 560 SEL folgte. Keine 60.000 Kilometer war er bis dahin gelaufen, ehe er sich im Ruhestand zu Flügeltürer und Co. gesellte. Ab Mitte der 1980er wurde genauestens Buch geführt, über jedes Problem und dessen Behebung. Das Serviceheft ist selbstredend lückenlos, die Pflege war ausnahmslos, nur so blieb der Wagen bis heute, 15.000 km später, nahezu makellos. Heute ist dieser 450 SEL 6.9 vielleicht eines der besten Exemplare vom einst besten Auto der Welt!“
Bilder: Dorotheum
Einige der Fahrzeuge der Sammlung Wiesenthal finden sich auch in der Alltagsklassiker Galerie wieder, der GaragenLiebling hat sie beim 33. Mercedes Benz SL Treffen 2016 im Schlosspark Laxenburg abgelichtet.
Gründer von Alltagsklassiker, mit großer Schwäche für gut gereifte japanische Fahrzeuge, Prospekte und Modellautos; Fotograf, Leseratte, bewegt Mazda MX-5 NA V-Special, Mazda 818 Sedan de Luxe, Puch Clubman und Puch Maxi L.